Slow Looking

Beim Slow Looking gehen wir mittels körperlicher und mentaler Übungen in unsere Mitte, um von dort aus langsam die Kunstbetrachtung zu beginnen.
Warum diese Übungen? 
Üblicherweise möchten wir bei einer Museumsführung mehr über Bilder und Künstler wissen wollen, lernen. Beim Slow Looking aber geht es nicht darum, sondern um das Sehen, das Erleben von mir als betrachtender Mensch, mein Sehen, mein unverwechselbares Erleben.  
Warum ist das gut und sinnvoll zu tun? 
Weil, wenn ich als Nicht-Kunsthistoriker in ein Museum gehe, ich dann diese Kunst mit Hilfe dieser Methode anschließend nach Hause gehen und sagen kann: "ich habe heute richtig viel gesehen und erlebt.''
Viel erlebt heißt nicht, ich habe total viele tolle Bilder gesehen!! Es bedeutet, dass ich mit meinem Sehen – manchmal nur eines einzigen Bildes !!! – wahnsinnig viel gesehen und gelernt habe. 
Und das müssen auch nicht Bilder sein, die mir auf den ersten Blick „gefallen“. Gerade Kunstwerke, die ich mir „normalerweise“ nur im schnellen Vorbeigehen anschaue, können mit Slow Looking zu einem besonderen Erlebnis werden. 

Liebe Andrea, lieber Liudger,
ihr fragt mich, wie ich zu Slow Looking gekommen bin. 

In Kürze: Ich habe vor nun über 12 Jahren begonnen. Kunst hat mich schon immer interessiert und bin gern in Museen gegangen und habe mich von Bildern inspirieren lassen. Ein ganz besonderes Erlebnis waren für mich die "pinturas negras", die schwarzen Bilder von Goya im Prado. Durch eine Ausbildung als Pilgerwegbegleiter kam der Wunsch in Museen zu "pilgern" und sich von den Bildern ansprechen zu lassen. Als weitere Grundlage des Slow Looking habe ich die Praxis des Focusing genommen, in der ich eine Basis-Ausbildung machte. Weiter kamen die Themen Autogenes Training und Achtsamkeit hinzu und habe so "meine" Methode des Slow Looking entwickelt. Dabei haben mir die Rückmeldungen der Teilnehmenden aus den Veranstaltungen ebenfalls sehr geholfen. Und noch immer ist es für mich ein Prozess, den ich seit Herbst 2022 erneut intensiv bearbeite. So geht es weiter im Bereich der Philosophie, meiner Achtsamkeits- und Meditationspraxis, wo ich ständig Neues entdecke, weiterentwickle. 
Und was "bringt" mir dieses Slow Looking? Nichts und alles. Keine Wahrheiten und nicht DIE gesuchte Lösung. Aber es bringt dich näher an die vielen Möglichkeiten deines Lebens und dieser Welt. Zugleich auch deiner eigenen Begrenztheit, in der du dich wohl fühlen und angenommen finden kannst.
Soweit in Kürze.

Slow Looking ist eine in angelsächsischen Museen seit Jahren verbreitete Praxis, bei der die Beobachtung des Objekts im Vordergrund steht. 

Slow Looking ist eine Methode der Bildbetrachtung aus der inneren Ruhe und Entspannung heraus. Dazu wird eine Anleitung geboten.
Der erste Schritt ist, in diese Entspannung zu gehen, um aus dieser Haltung heraus das Bild für sich persönlich zu entdecken. So entsteht ein individueller Dialog zwischen dem je eigenen Sehen und Gesehenen und dem Kunstwerk. Diese eigene Art der Wahrnehmung auch selbst wiederum wahrzunehmen, ist ein weiterer Schritt, der uns zeigen kann, wie wir „grundsätzlich“ in unserem Leben „wahrnehmen“. Ein Austausch in der Gruppe wird dazu fruchtbar sein. So kommen wir möglicherweise auch zu einer anderen inneren Haltung, in der sich der Sehprozess umkehren kann: nicht ich erfasse - begreife - das Bild, sondern das Bild kommt als Geschenk auf mich zu.

Die Bild-Kontemplation könnte man als eine erweiterte Spielart dieser Methode des Slow Looking ansehen. Es ist eine Art Sehschule, deren Ziel es ist, neue Perspektiven zu eröffnen und auf die eigene Art der Wahrnehmung und des Sehens einzugehen. 

 Sehen will gelernt sein! 

Das Slow Looking hat sich in mehrere Richtungen hin entwickelt. Eine, die der Bild-Kontemplation nahekommt, ist diejenige von Peter Clothier. Auch er übt sich in Meditation und Kontemplation.
Andere Richtungen stehen der klassischen Kunstwissenschaft näher, wie etwa Jackie Armstrong im MoMA oder Shari Tishman in ihrem hervorragenden Buch "Slow Looking, The Art and Practice of Learning Through Observation" (2018). 
Auf diese Methode wird bei der hier geübten Art des Slow Looking aufgebaut.

1. Langsames Schauen ist ein wichtiges Gegengewicht zur natürlichen menschlichen Neigung des schnellen Schauens.
In der heutigen Zeit scheint uns das eigene Smarthone regelrecht zu zwingen, schnellstens zu reagieren und zu schauen. Unser schneller Blick wird gefordert und in eine bestimmte Richgung gelenkt/gedrängt. Schnelles Erfassen einer "Bildnachricht" - Texte in kürzester Form, bzw. Stichworten  hinzugefügt - vervielfacht unsere Bilderwelt, zugleich verlernen wir und mit dieser Verführung durch Bilder auseinanderzusetzen.
Bilder - Konsum und Manipulation gehen Hand in Hand.

2. Das Langsame Schauen wird in der allgemeinen Bildung tendenziell stark unterbewertet. Der Wert des langsamen Schauens wird erst gar nicht erkannt und daher auch nicht geschult. Diesen Blick gilt es zu üben, denn er ist unserer ersten, evolutionär-natürlich geprägten, schnellen Erfassung der Mitwelt zum Teil entgegengesetzt! Diese Schulung des Sehens kann auf alle Bereiche unseres Lebens positiv einwirken - unseren Lebensalltag, unsere Lebenswelt.

3. Die Wissenschaft braucht genaues Analysieren und das bedeutet in der Regel langsames Hinschauen, bevor ich meine Schlüsse ziehe. Daher fördert genaues Hinschauen die Fähigkeit verschiedene Perspektiven einzunehmen und so die Partizipationsfähigkeit und letztlich Demokratiefähigkeit.

Aus einem Artikel der monool-magazin, 2019: 

Elf Sekunden verbringt ein Museumsbesucher durchschnittlich vor einem Werk. Sebastian Frenzel spricht auf Detektor.fm über die Slow-Art-Bewegung, die auf einen achtsameren Umgang mit Kunst setzt

Elf Sekunden verbringt ein Museumsbesucher durchschnittlich vor einem Kunstwerk, das ergab eine Studie der Zeppelin-Uni­versität in Friedrichshafen vor sechs Jahren. Heute geht man sogar von nur noch vier bis fünf Sekunden aus, bis das Publikum abschweift und – sind Sie noch dran? – sich dem nächsten Bild, dem Partner oder lieber noch dem Handy zuwendet.

Die Tate Modern will sich mit dem grassierenden Aufmerksamkeitsdefizit nicht länger abgeben – und hat anlässlich einer Ausstellung des französischen Malers Pierre Bonnard ein neues Konzept vorgestellt: "slow looking". "Bonnards Gemälde honorieren eine genaue und aus­giebige Betrachtung", erklärt Tate-Kurator Matthew Gale. "Natürlich kann man niemanden zur Entschleunigung zwingen, aber man kann dazu ermutigen."

Die zeitgenössische westliche Bildung betont die Rolle des rationalen, kritischen Denkens bei der Suche nach Wissen. Langsames Schauen wird normalerweise nicht als zentraler Bildungswert identifiziert, aber sein Beitrag zum kritischen Denken ist grundlegend!

Das sagen Teilnehmende

Sich ein Bild länger anzuschauen und dabei auf die Details zu achten finde ich einen guten Ansatz. Interessant ist, dass jeder eine Botschaft mitnimmt, wobei man kein ausgesprochener Kunstexperte sein muss. (NV)

Es war ein besonderes Erlebnis, sich unter einfühlsamer Anleitung eine ganze Stunde lang intensiv einem Bild zuzuwenden. Ein scheinbar bekanntes Bild bekommt durch achtsame Betrachtung neue Dimensionen und persönliche Bedeutung. (AT)

Ich versuche diese Ansätze in meine Arbeit zu integrieren.

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